Die Zukunft des Schreibens II – Die Unzufriedenheit der Autoren

Zum Teil I dieser Artikelserie geht es hier

Wie es eben nunmal ist mit brandneuen Eindrücken: Sie drohen zu verflachen, zu verblassen, sich gar in Rauch aufzulösen, wenn man sich zeitlich und räumlich von ihnen entfernt. Diesmal nicht: Seit meiner Rückkehr von der London Book Fair bin ich sehr ins Grübeln geraten über das Buchgeschäft – über das, was ist, aber vor allem über  das, was uns als Autoren bevorsteht. P1040323

Auch wenn  sich das, was in der Welt der Bücher im englischsprachigen Raum geschieht nicht 1:1 auf unsere Verhältnisse übertragen lässt, so zeichnen sich doch einige Trends ab, an denen wir wohl kaum vorbeikommen werden. Dazu gehört die Verschiebung und Neuverteilung von Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen den beteiligten Akteuren – grob gesagt: Autoren, Verlagen, Agenten, Buchhandel. Und natürlich der Aufstieg des Selfpublishing. Dazu gehören aber auch die neuen Möglichkeiten, die sich aus den Entwicklungen ergeben und die man hinter dem Unbehagen entdecken kann, das jeder Umbruch mit sich bringt. Bequem wird die Sache allerdings nicht. Um es vorweg zu sagen: Es sind wohl die Autoren selbst, die in Zukunft sich und ihre Bücher managen werden – kreativer, unabhängiger, mit geschärften Bewusstsein gegenüber dem, was auf dem Markt geschieht und mit festem Blick darauf, dass eine erhöhte Eigenverantwortung auch erhöhten Einsatz mit sich bringt – möglicherweise nicht mehr nur Schreibzeit und Hirnschmalz, sondern auch finanzielle Investitionen, die man in die Qualitätsverbesserung (Stichwort Lektorat) und die Vermarktung der eigenen Bücher (dazu später ein eigener Artikel) stecken sollte. Es sind auch die Autoren, die entscheiden werden, welche Unterstützung sie sich in diesem Prozess holen möchten und können – den traditionellen Verlag, den erfahrenen Agenten, die Marketing-Expertin,  die Lektorin, den Grafiker und den Selfpublishing-Dienstleister in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen. Es gibt nicht mehr nur den einen Weg, ein Buch zu machen.

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Auch wenn es hierzulande viele nicht wahrhaben wollen oder der Tendenz äußerst skeptisch gegenüberstehen: Der Einfluss der Selfpublishing-Giganten wie amazon oder kobo (der Einstieg von google und apple steht unmittelbar bevor) und weiterer Dienstleister, die sich rund ums „Autorengeschäft“ tummeln, wird stetig wachsen – eben weil sie vielen Autoren Veröffentlichungsmöglichkeiten eröffnen, denen zuvor der Zutritt von „Wächtern“ (gatekeepern) wie Verlagen und Agenten verweigert wurden. Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich waren diese Akteure traditionell dazu da, das Beste aus dem unendlichen Geschreibsel herauszufiltern, das täglich auf ihren Schreibtischen landete und das ersparte uns als Lesern oft das Schlimmste. Doch so wie der Buchhandel durch amazon unter Druck geraten ist und zu Neuerungen gezwungen wurde, so werden Agenten und Verlage als Mittler unter Druck geraten, wenn sie in der Produktionskette Buch in Zukunft übersprungen werden können. Die Frage ist dabei gar nicht, ob das gut ist für den Buchmarkt. Es ist für die Autoren schlicht machbar. Also werden es viele zumindest in Erwägung ziehen – und zwar nicht erst nach dem 196ten Absageschreiben.

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Denn nicht nur Anfänger sind frustriert: Glauben wir einer aktuellen Umfrage der Autorenverbände sieht es unter den Autoren, die bei traditionellen Verlagen untergekommen sind, nicht viel besser aus: 21 Prozent sind mit dem Lektorat unzufrieden, 33 Prozent bemängeln die Vertragsbedingungen, 52 Prozent halten die PR-Maßnahmen für ihre Werke für unzureichend. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der Autorenverbände in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter 1.200 Autoren.

Auf der einen Seite haben wir also unzufriedene Autoren – manche eher stümperhafte Anfänger, manche hochprofessionell – auf der anderen Seite die Selfpublishing-Riesen, die auf der London Book Fair zur großen Umarmung aller Schreibenden ausholten. Was mir dort schnell klar wurde ist: Diese Riesen haben einen Bärenhunger. Was sie brauchen ist Futter: Texte, Bilder  – „content“.  Dafür tun sie im Moment fast alles – denn ohne neuen „content“ kein Wachstum. Also umwerben sie die Autoren und andere Kreative mit aller Macht. In einer Diskussion zur Rolle von amazon äußerte der Chef der britischen Booksellers Association, Tim Godfray: „Also geht der Schriftsteller direkt zu amazon. Amazon veröffentlicht das Werk des Autors und kann das Buch dann genau zugeschnitten und gezielt bei bestimmten Nutzern bewerben…das ist furchteinflößend. Mit diesem Rüstzeug haben sie die Macht, den Buchhandel, wie wir ihn kennen, zu zerstören.“

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Für Buchhandel, Verlage und Agenten also ein Schreckensszenario. Und für die Autoren? Die Frage für uns lautet: Geben wir den hungrigen Riesen ihr Futter oder setzen wir weiter auf das vertraute System? Das hängt zunächst davon ab, was man will bzw. wo auf der Welt man schreibt. Hier bei uns stellt ein traditioneller Verlagsvertrag immer noch eine Art Ritterschlag dar, welcher im deutschsprachigen Raum die Voraussetzung dafür ist, als Autor ernst genommen zu werden (akzeptiert  z.B. als Mitglied der großen Autorenverbände). Aber auch im englischsprachigen Raum träumen die allermeisten Autoren immer noch davon, in einem großen und renommierten Verlag unterzukommen. Doch die Indie-Gemeinde dort ist selbstbewusst und sehr viel professioneller geworden und vor allem: erfolgreicher. Und natürlich ist es die zunehmende Professionalität, die diesen Erfolg bedingt.

Wenn wir ganz ehrlich sind, dann geht es den Autoren vor allem um eins: Ihre Texte möglichst vorteilhaft unter die Leute zu bringen.  Das heißt in unterschiedlicher Gewichtung: Möglichst viele Leser zu erreichen oder mit unseren Texten etwas Geld zu verdienen. Das war bisher kein Zuckerschlecken (siehe Umfrage) und wird es auch in Zukunft nicht sein. Will man jedoch den Geschichten aus der „guten alten Zeit“ glauben – ich stehe diesen weichgezeichneten Bildern immer ein wenig skeptisch gegenüber – war früher alles wunderbar und sowieso ganz anders als heute. Es wurden nur gute Bücher von klugen, weitsichtigen Verlegern veröffentlicht und  Autoren (die ihre Verleger zu den Paten ihrer Kinder machten)  konnten sich für ihre Bücher unendlich viel Zeit lassen. Sie wurden gehätschelt und konnten sie sich nebenbei völlig unberechenbar verhalten, störrisch, weltfremd und (man kann es im Zeitalter von facebook und twitter kaum glauben) sogar schweigsam. Sie mussten weder fotogen sein oder über ihr Privatleben plaudern, sie mussten nur eins tun: schreiben. (Im Ernst: Was daran Mythos ist oder den historischen Tatsachen entspricht soll jeder für sich selbst entscheiden)

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Im Grunde ist es aber vollkommen egal wie es früher war. Früher, das war gestern. Und an diesem Ort leben wir nicht (mehr). Heute ist es mit den Verlagen so, wie es überall ist. Es gibt Verleger, die sind so wunderbar, das man glaubt, die seien eben jenen von der Nostalgie golden und sepiabraun verfärbten Fotografien entsprungen – sie sind idealistisch, einfallsreich, fleißig. Leider haben gerade die oft nicht das Werbebudget, das diesem oder jenem Buch wirklich auf die Sprünge helfen kann. Dann sind da die großen Publikumsverlage, die sich nach und nach aus dem zurückgezogen haben, was eigentlich ihre Aufgabe ist.

Zum Beispiel Auswahl und Lektorat: Ja, wir haben es gemerkt, denn wir sind schließlich nicht nur Autoren, wir sind auch Leser: Es gibt verdammt viele schlechte Bücher. Mehr als früher? Keine Ahnung. Aber fallen uns nicht auch zunehmend lieblos gestaltete, schlampig korrigierte, unzureichend lektorierte und verheerend übersetzte Bücher in die Hände? War also doch früher alles besser oder ist auch das Nostalgie? Ich weiß nicht. Eins steht jedenfalls  fest: Viele dieser Bücher kommen häufig nicht aus dem Selfpublishing-Bereich, sondern geradewegs aus großen Verlagen. Zum Beispiel Marketing: Vielen Autoren, besonders Anfängern, ist es immer noch nicht klar: Mit großem Aufwand beworben werden nur die Spitzentitel (und auch die nur über einen kurzen Zeitraum), von denen ein großer Teil „sichere“ Bestsellereinkäufe aus dem Ausland sind. Die von den Verlagen gemieteten Plätze auf den zentralen Büchertischen der Buchhandelsketten – gut beleuchtet, auf Griff- und Augenhöhe – sind nur für wenige von uns je erreichbar. Es ist ein weiterer, zählebiger Mythos, dass Verlage große Geldsummen investieren, um Bücher zu vermarkten.

Das Festhalten am traditionellen Verlagssystem ist also für Autoren nur bedingt ein attraktiver Weg – aber was machen wir dann?

Fallen wir also den Selfpublishing-Riesen in die Arme, selig darüber, endlich wertgeschätzt zu werden und dankbar, dass kindle &  Co. uns mehr vom ohnehin mageren Kuchenstück Buchverkäufe abgeben?  Nein, wir sträuben uns. Wir geben unseren Traum vom gedruckten Buch im Großverlag XY nicht einfach auf.

Oder vielleicht schon, aber nicht sofort. Es hängt einiges davon ab, wie sich die Dinge entwickeln werden. Erfolgreiche Indie- oder „Hybrid“-Autoren (letztere mit Büchern bei tradionellen Verlagen und einem zweiten Standbein im Selfpublishing) schaffen es in Großbritannien und den USA inzwischen, dass renommierte Kulturredaktionen ihre Bücher besprechen, dass stationäre Buchhandelsketten ihre Bücher ins Sortiment nehmen. Einzelfälle zwar, zugegeben, Ausnahmetalente in Sachen Schreiben, Vermarktung, Kommunikation  – aber womöglich Vorreiter. Es wäre nicht das erste Mal, dass man diejenigen belächelt, die eine solche Rolle übernehmen – die uns aber womöglich neue Wege aufzeigen.

Im nächsten Artikel geht es ans Eingemachte: Zukunftsmusik.