Liebe Leser,
an dieser Stelle finden Sie einige Leseproben. Auszüge aus aktuellen Veröffentlichungen sowie Kostproben aus noch in Arbeit befindlichen Manuskripten veröffentliche ich zudem regelmäßig in der Kategorie „Texte“ im Menü, das sie auf der rechten Seite des Blogs finden. Ich wünsche viel Spaß beim Stöbern und freue mich, wenn Sie mich auch weiterhin auf dieser Seite besuchen.
Klippenrand (Romanauszug, unveröff.)
„Die Straße war ein zugiger Korridor, abschüssig und menschenleer, der in einen Abgrund aus Wolken und Licht mündete. Auf diesen Fluchtpunkt ging Beck zu, während ihm der Wind die Haare aus der Stirn blies. Er fühlte sich jetzt besser. Allmählich schoben sich Bilder der Stadt in sein Bewusstsein, bruchstückhaft und fremd. Manche der alten Häuser schienen vor unbestimmter Zeit von den Bewohnern verlassen worden zu sein. Vor anderen lag Spielzeug aus grellbuntem Plastik, auf Stufen, die zu zerschrammten Türen führten. In mehreren Eingängen standen Topfpflanzen als hätten sie sich dorthin vor dem Wind geflüchtet, manche kümmerlich, manche wie exotische Miniaturinseln, üppig und dicht. Hoch oben, auf Simsen, Mauerabsätzen und zwischen den Kaminen, drängten sich die Nester der Möwen. Die Dächer waren weiß gesprenkelt vom Kot. Brutpaare machten durch ihr Geschrei deutlich, wem die Straße wirklich gehörte. Das vorletzte Gebäude auf der rechten Straßenseite, ein schmales, hoch aufragendes Haus, war zu vermieten. Das Schild des Immobilienmaklers pries den Seeblick aus Klippenhöhe, doch tatsächlich versperrte die düstere Rückseite eines alten Hotels den Großteil der Aussicht.“
Sprachnachrichten (Auszug)
In diesem Augenblick, im tiefen, kalten Wasser, sah sie ihre eigene Sterblichkeit, die sie umkreiste wie ein großer Fisch, sah auf einmal all die anderen Leben, die sie hätte leben können, silbrig aufscheinend wie die tausend Leiber eines Heringsschwarms, der eine Wendung vollzieht. Sie dachte an die Unsterblichkeit der Quallen, die neben und unter ihr schwammen. Und an das Artensterben, das die Welt mit Endgültigkeit tränkte, immer neue Breschen schlug, die Leere zwischen den Lebewesen vergrößerte, allem anderen Bedeutung und Zukunft nahm. Es gab keine Worte für das, was sie empfand, und doch war sie sich sicher, dass man für dieses Etwas, das sie jetzt vor sich sah, dieses große, grausame, ungeheuerliche Etwas, eine eigene Sprache finden musste.
IN: „An die Schwäne“ Prosa und Lyrik zum Hölderlinjahr 2020 herausgegeben vom Schriftstellerhaus Stuttgart, ausgewählt von Astrid Braun und Moritz Heger. Illustrationen von Christian Lang. Begleittexte von Thomas Weiss, Stuttgart, September 2020
sowie in einer gekürzten Version in:
„Ach – Es gibt Momente, wo ich finde daß die Sprache noch gar nichts ist“ Literaturmagazin Dichtungsring No. 57, herausgegeben von Francisca Ricinski. Voraussichtlicher Erscheinungstermin: Juli 2020
Innerirdisch (Auszug)
Im Mansardenzimmer ist es fast so trostlos wie im Rest des Hauses. Doch hier war es, wo sie gearbeitet hat. Die Fenster gehen nach hinten raus. Es sind keine Möbel mehr da, bis auf den Klapptisch in der Fensternische und einen einfachen Holzstuhl. Wohl nicht die Originalausstattung. Der Blick nach draußen: Unkraut, etwa zwanzig Meter weit bis zur Grundstücksgrenze. Dahinter der ansteigende Bahndamm. Auf der Strecke rauscht alle zwanzig, dreißig Minuten ein endloser Güterzug vorbei. Kaum auszuhalten.
Wenigstens die Kartons stehen da, wie abgesprochen. Ich zähle durch: Siebzehn Stück, unterschiedlich groß. Ich öffne den ersten und ziehe wahllos eins der Blätter heraus.
„Grüner Himmel, Blitze wie zuckende Leuchtreklame, das Zimmer gerät aus dem Gleichgewicht, schwankt wie ein Dreimaster in Seenot. Ich kann ihn riechen, den Regen, der kommen wird. Echten, elektrisch riechenden Regen. Hier ist weit und breit keine gute Geschichte in Sicht, alle Einfälle stellen sich als unbrauchbar heraus. Bodo springt aus seinem Korb, stellt sich an die Tür und wedelt begeistert, hat zugleich diesen flehentlichen Ausdruck in den Augen. Dummer Hund, du. Nein, kluger Hund. Kannst Gedanken lesen.“
Es ist, als wäre sie gerade aus dem Zimmer gegangen.
In: „Nachtprotokolle“ (Blitz Verlag, 2017)
Schallmeyers Klarsicht (Auszug)
Gestern früh habe ich Schallmeyer gesehen, draußen, auf dem Parkplatz. Er war wohl schon länger in der Nähe gewesen, denn ich hatte bereits eine ganze Weile diesen Flussgeruch in der Nase. Ich sah ihn dastehen, eine schwarze Stele auf der schneebestäubten, leeren Asphaltfläche, nur einen Moment lang, nur aus dem Augenwinkel. Als ich den Kopf wandte, löste er sich auf.
Mittags war er wieder da, in einem der Quergänge, die zur großen Produktionshalle führen. Sein Schatten fiel als langer Balken über den Boden und wuchs an der gegenüberliegenden Wand empor.
Am selben Abend saß ich auf meinem Lieblingsplatz in der Kantine und fingerte eingemachte Pfirsiche aus der Dose. Die Wintersonne schien durch die Glasfront und weil es so warm wurde, hatte ich die wattierte Jacke ausgezogen und über die Stuhllehne gehängt. Durch die Schallschutzfenster hörte man entfernt das Brausen des Flusswassers, doch sonst schien alles ganz still und friedlich.
Da sah ich die Katze. Sie saß auf der Rampe der Warenannahme. Es sah so aus, als starre sie zum Wehr hinüber, aber vielleicht täuschte ich mich auch. Nach ein paar Minuten machte sie einen Satz und verschwand aus meinem Blickfeld.
Nachts lag ich wach. Anfangs versuchte ich mir einzureden, dass ich einen Marder auf der Rampe hatte sitzen sehen, nicht die Katze. Schließlich hausen die jetzt überall, poltern herum und zernagen die Kabel in den Großraumbüros. Gegen Marder lässt sich nur schwer etwas unternehmen.
Aber es hilft nicht, sich etwas vorzumachen. Gestern, das Tier auf der Rampe, das war kein Marder. Das war Schallmeyers Katze.
Schallmeyers Klarsicht. Kurzgeschichte, Dritter Preis Nordhessischer Autorenwettbewerb 2009 und Dritter Preis Irseer Pegasus 2010. In: „Klartext“, Verlag Wortwechsel, Kassel, 2010 sowie in: „Die Irritation“, meinem ersten Band mit Erzählungen und Kurzgeschichten
Kehricht (Auszug)
Hatte eingekauft, heut früh, wollt danach zum Strand, konnte dann nicht. War´s gewohnt, dem Hund zuzusehen. Steine, überall kollernde Steine, die haben dem Hund Spaß gemacht, er hetzte los, suchte einen aus, brachte ihn im Maul, warf ihn mir vor die Füße, guckte so, hechelte, brachte mich
zum Lachen, guckte dann immer wie Damian. Der wollte auch immer getätschelt werden, der Streuner, auch wenn der irgendwann gar nix mehr mitbrachte, keine Walfischknochen, nicht mal Steine.
Bin dann also zum Palace Pier, stattdessen, ging so rum, zwischen den Imbissbuden und Fahrgeschäften, guckte den Leuten zu, weiß, kaffeebraun, schwarz, Eltern und Kinder, schwule Pärchen, Teenager, die knutschen. Brighton ist so, im Sommer, überall flattrige junge Dinger, frisch aus dem Kokon, Sprachstudentinnen, sowasalles, überallher, bloß weil sie in ein Loch gefallen sind, glauben die, sie sind in der Wunderwelt. Aber es ist die Stadt, die alte Schlampe, merkst nicht, dass du schon in ihrem Schlund steckst und verschluckt wirst, spurlos, einfach weg.
Lange her, das Lagerhaus, der Hafen, die Möwen und Damian, lange her. Die Holzstiege, weiter, immer weiter ging´s rauf, außer Atem, bis in den Himmel, oben der Dachboden, der Gasofen, fauchte die ganze Nacht, das Ungeheuer. Und Haufen, Türme aus Gerümpel, Damians Kram, er verkaufte manchmal was, wenn wir Geld brauchten. Hörten das Krallenscharren, Poltern, wenn die Hafenratten nachts rumkletterten, riesige Biester waren das, hat uns aber nix ausgemacht, haben uns nur fester umarmt, so war das.
Kehricht In: „Ausgehen“ Anthologie zum 19. Würth-Literaturpreis im Rahmen der Tübinger Poetikdozentur. Vorwort: Feridun Zaimoglu. Swiridoff-Verlag, Künzelsau, 2008 sowie in: „Die Irritation“, meinem ersten Band mit Erzählungen und Kurzgeschichten
Die Irritation (Auszug)
An einem Morgen im späten Juni 2010 fiel eine junge Frau von der Fähre Pride of Canterbury in den Ärmelkanal. Einige Mitreisende sahen, wie der Körper über Bord ging, keiner hatte jedoch beobachtet, wie es zu dem Sturz gekommen war. Eine Weile noch, während erste Rettungsmaßnahmen eingeleitet wurden, sah man den kleinen, wie eine Boje auf dem Wasser tanzenden Kopf, den hilflos nach
oben gereckten Arm der Frau, dann aber – von einer Sekunde zur anderen – nichts mehr. Nur der vergebens geworfene Rettungsring dümpelte noch auf dem Wasser. Gleichzeitig vernahm man, wie das Dröhnen im Maschinenraum seine Tonlage änderte und die Fähre ein schwerfälliges Wendemanöver zu vollziehen begann, für die das Gefährt nicht recht zu taugen schien, während das Personal durcheinander lief, Rufe ertönten und in aller Eile eines der Rettungsboote zu Wasser gelassen wurde. Wie alle anderen stand ich über das Geländer gebeugt und starrte gebannt auf das Wasser. Doch das Mädchen blieb verloren.
Die Irritation. Erzählung. In: Ein Traum vom Meer. Hrsg: Frank W. Haubold. Projekte-Verlag Cornelius, Halle 2010 sowie in: „Die Irritation“, meinem ersten Band mit Erzählungen und Kurzgeschichten