Leseproben Journalismus

Lacock Abbey: Zu Hause beim Pionier der Fotografie

Fotografieren ist einfach: Ein Klick, ein Berühren des Auslösers und das Bild ist da – gestochen scharf, in brillanten Farben, unendlich oft reproduzierbar. Das war nicht immer so. Ein Besuch in Lacock Abbey in der südwestenglischen Grafschaft Wiltshire erzählt vom zähen Ringen um die Erfindung der Fotografie.  

William Henry Fox Talbots Leben begann mit einer Pleite: Im Jahr 1800 geboren war er erst fünf Monate alt, als sein Vater hoch verschuldet starb. Den Stammsitz der Familie, die ursprünglich mittelalterliche Abtei Lacock Abbey, welche man nach und nach in einen komfortablen Wohnsitz verwandelt hatte, musste man vermieten, um über die Runden zu kommen. Vier Jahre später jedoch, als Talbots Mutter einen vermögenden Konteradmiral heiratete, konnte die Familie nach Lacock Abbey zurückkehren.

Natürliche Bilder haltbar machen

Die Familie Talbot war nicht nur wohlhabend, sondern auch einflussreich, gebildet und vielseitig interessiert. Man unternahm selbstverständlich die üblichen Bildungsreisen auf dem europäischen Kontinent, darüber hinaus suchte schon der junge Henry Fox Talbot die Gesellschaft der großen Denker und Wissenschaftler seiner Zeit, so zum Beispiel des Astronomen John Herschel und des Physikers David Brewster, die ihn dazu anregten, über das Licht und optische Phänomene nachzudenken.

Ansonsten vielseitig begabt, ärgerte er sich während einer Reise an den Comer See über seinen Mangel an zeichnerischem Talent. Wie damals üblich hatte er eine sogenannte „Camera lucida“ als Zeichenhilfe für Reiseskizzen benutzt. Später schrieb er, dass er zu diesem Zeitpunkt begann „…nachzudenken über die unnachahmliche Schönheit der Bilder, von der Natur gemalt, welche durch die Glaslinse der Camera auf das Papier in ihrem Brennpunkt geworfen wird … ich verfolgte die Idee … wie reizvoll es wäre … diese natürlichen Bilder haltbar zu machen und auf dem Papier festzuhalten.“

Schattenzeichnung eines Erkerfensters

1835 experimentierte der auf Lacock Abbey mit normalem Schreibpapier, verschiedenen Lösungen von Kochsalz und Silbernitrat. Dadurch machte er das Papier lichtempfindlich, legte undurchsichtige Objekte darauf und setzte das Ganze dem Sonnenlicht aus. Die belichteten Partien verfärbten sich dunkel, die übrigen blieben hell. Die Ergebnisse dieses Prozesses nannte er sciagraphs (Schattenzeichnungen). Das früheste erhaltene Papiernegativ stammt vom August 1835, eine kleine Aufnahme eines bestimmten Erkerfensters von Lacock Abbey, das heute jährlich von tausenden Besuchern fotografiert wird. Talbot blieb zeitlebens in Lacock und verbesserte sein Verfahren, das er Kalotypie (kalos = altgriechisch „schön“) oder Talbotypie nannte und patentieren ließ – entwickelt fast zeitgleich mit der Daguerreotypie in Frankreich.

Nächte auf der schmalen Pritsche

Talbots Forschungen beschränkten sich keineswegs auf die Fotografie. Auch in der Mathematik, Physik, Psychologie, Botanik und Astronomie machte er sich einen Namen und war beteiligt an der Entzifferung altorientalischer Keilschriften. In Lacock Abbey kann man unter anderem Talbots Arbeitszimmer mit der schmalen Pritsche besichtigen, auf der er schlief, um nach langen nächtlichen Studien seine Frau nicht im Schlaf zu stören. Hier war es auch, wo er starb: Nach längerer Krankheit am 17. September 1877.

Downton Abbey und Harry Potter

Das Herrenhaus, das von alten Bäumen bestandene Anwesen und das englische Bilderbuchdorf Lacock gehören damals wie heute zusammen: Bis 1944 blieb alles im Besitz der Talbots, dann wurde es dem National Trust unterstellt. Das ganze Jahr hindurch gibt es auf dem Gelände Ausstellungen und Veranstaltungen – nicht nur zum Thema Fotografie. So ist der stimmungsvolle Weihnachtsmarkt im Kreuzgang des Klosters weithin bekannt. Und: Lacock ist bis heute nicht nur  Anziehungspunkt und Motiv für Fotografen aus aller Welt, sondern auch Drehort von zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen, darunter Downton Abbey und drei der Harry Potter-Filme.

Adresse: Lacock Abbey, Dorf und Fox Talbot Museum: High Street, Lacock, Chippenham, Wiltshire, SN15 2LG

Detaillierte Infos zu Lacock finden Sie in englischer Sprache auf:

www.nationaltrust.org.uk/lacock-abbey-fox-talbot-museum-and-village

 

Vergessene Kunstgeschichten der Heimat

Das Albmaler Museum bei Münsingen beherbergt eine besondere Sammlung: Es erzählt von verlorenen Idyllen und von künstlerischer Leidenschaft, die sich über ärmliche Lebensverhältnisse hinwegsetzt.

Martin Rath fasst seine Erfahrungen im Kunstbereich am Ausgangspunkt seiner Sammelleidenschaft zusammen: „Ich hatte keine Ahnung“, sagt er und lacht. Wir stehen vor dem Bild, mit dem alles begann. Ein kleinformatiges, zart hingetupftes Gemälde des Künstlers Jakob Plankenhorn, das einen Blick über Salmendingen zeigt. Sein erster Kauf und der Ausgangspunkt für eine Recherche, die ihn bis heute nicht mehr losgelassen hat. Sie führte ihn zu anderen Bildern und weiteren Künstlern, die im 19. Und 20.Jahrhundert auf der Alb lebten und arbeiteten.

Hart erarbeitete Idylle

Viele Bilder zeigen scheinbar idyllische Ansichten der Landschaft und bäuerlicher Feldarbeit – nur hier und da sind Einflüsse der Moderne spürbar. So bieten sie dem Besucher einen durch das Künstlerauge gefilterten Blick auf die Schönheit der heimatlichen Landschaft und das Alltagsleben der Vorfahren. Doch es gibt hier weit mehr zu entdecken. In den Bildern stecken die Lebensgeschichten der Künstler. Die Begeisterung ist Martin Rath anzumerken,  während er von einem Besuch bei einem 93jährigen Klassenkameraden des Malers Eduard Niethammer erzählt. Der habe Anekdoten aus der Schulzeit zum Besten gegeben: Als der Lehrer versucht habe, ein Pferd an die Tafel zu zeichnen, habe er zu hören bekommen, dass der Eduard das längst viel besser könne. Niethammer wurde später zum künstlerischen Experten für Pferdedarstellungen – und wird 2018 im Mittelpunkt einer der Sonderausstellungen des Museums stehen.

Die Mehrzahl der Albmaler waren akademisch ausgebildet. Dennoch hatten sie es schwer, mit dem Malen ein Auskommen zu bestreiten. Selbst eine goldene Medaille bei der Pariser Weltausstellung konnte Felix Hollenberg nicht den Ruhm verschaffen, den er als Meister der Radierung verdiente. „Das hatte auch ganz praktische Auswirkungen auf ihre Art zu arbeiten.“ So habe der Maler Jakob Plankenhorn, in Thalheim geboren und gestorben, nur solche Motive gemalt, die er mit dem Fahrrad in einer Tagestour habe erreichen können.

Korrigierte Menschenleere

Nur wenige kamen zu einem geregelten Einkommen, darunter Hermann Drück, der schwäbische Impressionist, der schon zu Lebzeiten ein geschätzter Landschaftsmaler war.  Frauen hatten es besonders schwer, sich als Künstlerinnen durchzusetzen. In der Ausstellung finden sich immerhin Bilder von Lore Scheef und Lilli Kerzinger-Werth. Auch die Frau des Professors Hermann Drück war Künstlerin und ganz und gar nicht glücklich mit den menschenleeren Landschaften ihres Mannes, so Martin Rath. Er zeigt mir ein Gemälde des Malers, das einen Blick über das Neckartal zeigt. Auf einem Hügel sind winzige, menschliche Figuren zu erkennen, die Drücks Frau dort nachträglich hineingesetzt  habe und die heute wie Fremdkörper wirken. Eine ironische Fußnote angesichts der Tatsache, dass diese vorindustrielle,  freie Landschaft heute unter einer dichten Bebauung liegt.

Zur Website des Albmaler Museums geht es hier

 

Widerständige Charakterköpfe

Seit 2005 beschäftigt sich Barbara Zeppenfeld sich mit den vom Aussterben bedrohten Wald- und Steinschafen und betreibt am Albtrauf eine Erhaltungszucht. „Das typische Waldschaf ist ein untypisches“, zitiert  die Schäferin den Zoologen Hans-Hinrich Sambraus.  

Beim Erzählen am Küchentisch wechselt Barbara Zeppenfeld zwischen harten Fakten und lebhaften Schilderungen eigenständiger Tierpersönlichkeiten. Sie kennt nicht nur jedes Tier ihrer Herde mit Namen, sie weiß auch um deren charakterliche Eigenheiten und Verwandtschaftsbeziehungen. Sie macht deutlich: Ihre Schafe und die Hütehunde Emmi und Nora sind für sie zugleich Arbeitspartner und erweiterte Großfamilie. Im Rahmen ihrer pädagogischen Projekte schickt sie Kinder häufig in die Herde mit dem Auftrag, mit der genauen Beschreibung eines einzelnen Tiers zurück zu kommen. „Die Kinder sind voll dabei und beobachten sehr genau. Und sie sind jedes Mal ziemlich beeindruckt, wenn ich den Namen des Tiers richtig rate.“

Bunt, widerstandsfähig, wertvoll

Was dem Laien auf den ersten Blick wie eine romantische Spielerei erscheinen mag, ist wohlbegründet: Nur durch genaue Kenntnis der Herde können wertvolle genetische Linien fortgeführt und gesund erhalten werden. Die Aufzeichnungen werden im sogenannten Herdbuch festgehalten. Der planvolle Austausch von Zuchttieren zwischen Erhaltungszüchtern sichert das Überleben der alten Schafrassen, die eng mit der Kulturgeschichte unserer Region verbunden sind. Waldschafe dienen der extensiven Beweidung auf Streuobstwiesen und Hanglagen der Schwäbischen Alb und funktionieren als Samenverteiler für bedrohte Pflanzenarten.

Die alten Rassen seien trotz vieler Vorteile verdrängt worden, weil der Ertrag in Sachen Wolle, Fleisch und Milch geringer sei. Ein Umdenken sei gefordert. „Hochleistungszucht und Massentierhaltung bedrohen nicht nur alte Nutztierrassen. Auch wilde Arten und wertvolle Ökosysteme sind durch sie weltweit in Gefahr.“  Man weiß ihr Engagement zu schätzen.  Schon mehrmals wurde das Projekt ausgezeichnet.

Barbara Zeppenfeld züchtet in ihrem Projekt Waldschafe und Krainer Steinschafe. Das Waldschaf war einst in Süddeutschland weit verbreitet, ist aber im Bestand so drastisch zurückgegangen, dass es derzeit offiziell nur noch rund 1500 Exemplare gibt. Diesen Bestand hat man in den vergangenen dreißig Jahren mühsam aus einem Rest von siebzig Tieren wiederaufgebaut, die im Bayerischen Wald gefunden wurden. Die Krainer Steinschafe stammen vom sogenannten „Torfschaf“ ab und gehören zu den ältesten Schafrassen Europas. Überreste des „Schweizer Torfschafes“ wurden in den Pfahlbauten der Jungsteinzeit gefunden.

Mit Schafen wandern – eine Übung in Achtsamkeit  

Auf Schafwanderungen durch das Weidegebiet rund um Bronnweiler mit traumhaftem Ausblick auf den Reutlinger Albtrauf bringt Sie Interessierten all das nahe, was sie im Leben mit ihren Tieren gelernt hat. Die Touren finden mit Schulkindern häufig im Sommerferienprogramm statt, sind aber auch einzeln buchbar. Auch für Vereinsausflüge oder Familienfeste eignen sie sich –  immer vorausgesetzt, alle Teilnehmer wissen, was sie erwartet. Sonst habe schnell mal einer die falschen Schuhe dabei.

Vor Beginn der Wanderung trifft man sich an der Koppel und lässt sich Zeit für eine thematische Einführung, für Informationen zu den Schafrassen, für Fragen – aber besonders für das gegenseitige Beschnuppern. Es gehe darum, Menschen wie Tiere einzustimmen, Ruhe zu verbreiten, was beiden Seiten zu Gute komme. Übereifrige müsse man ab und zu ein wenig herunterbremsen, aber das komme eher selten vor. Insgesamt sei es erstaunlich, wie besonders Kinder sehr bald einen hohen Grad an Achtsamkeit an den Tag legten. „Die lernen richtiges Verhalten oft einfach durch genaue Beobachtung und Nachahmung“, sagt Barbara Zeppenfeld. „Es geht dabei nicht darum, ein Event zu bieten, da würde ich missverstanden. Die Menschen sollen kommen und das Leben einer Schäferin hautnah miterleben – so wie es ist. Darauf muss man sich einlassen und sich den Tieren anpassen. Das hat viel mit Respekt zu tun.“

Respekt und Geduld braucht es auch, wenn man bei Wanderungen auf die Wetterbedingungen und landwirtschaftliche Gegebenheiten Rücksicht nehmen muss oder wenn eine Wanderung viel länger dauert, als ursprünglich gedacht – denn beim Wandern mit Tieren müsse man sich deren Tempo anpassen, nicht umgekehrt. Auch für eine ausgiebige Rast und ein Vesper beim Grillfeuer ist Zeit. Barbara Zeppenfeld rät ihren Besuchern, solide Kleidung für die entsprechende Wetterlage und eine entspannte, offene Haltung mitzubringen. „So hat man den Kopf frei und kann sich ganz auf das Erlebnis einlassen.“

Klasse statt Masse – und von wegen dummes Schaf!  

Im Transporter fahren wir mit den beiden Hunden hinaus auf die Weide. Insgesamt besteht die Herde aus etwa 70 Tieren, erzählt sie. Die Böcke werden separat gehalten, um die Zucht steuern zu können. Unterwegs schwärmt sie von der Schönheit der alten Schafrassen, deren Widerstandsfähigkeit und Genügsamkeit. Alte Haustierrassen wie die Waldschafe seien insgesamt gesünder und kämen mit widrigen Umweltbedingungen besser klar als Hochleistungsrassen. Aber es gehe auch um „Soft Skills“: „Eigenschaften wie Herdentauglichkeit, Freundlichkeit, gesunde Klauen und eine gute Betreuung der Lämmer durch die Muttertiere. So etwas ist leider kein offizielles Zuchtkriterium.“

Während ich ihr helfe, den Weidezaun umzustecken und die Hunde überglücklich herumtollen, sehe ich, was sie meint: Das hier ist ein bunter Haufen, in dem kein Tier dem anderen gleicht – weder in Fellfarbe, Statur, noch Gesichtsausdruck. Barbara Zeppenfeld räumt auch mit einem anderen Vorurteil auf: Dem vom dummen Schaf. Einmal habe sie der alte Schafbock Gandalf zur Hilfe gerufen, als einer seiner Söhne sich in einer Dornenhecke verfangen hatte. „Der hat sich dabei nicht weniger schlau angestellt als einer meiner Hunde“, sagt sie und lacht.
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