Fort – von der Notwendigkeit aufzubrechen

Es ist Anfang August 2022. Die Welt dort draußen ächzt unter der nächsten Hitzewelle – einem Zeichen, das inzwischen jeder lesen kann, wie der Ich-Erzähler in meiner Short Story „Der silberne Falter“ wie nebenbei bemerkt. Die Pandemie scheint – zumindest für den Moment – in den Hintergrund unseres Alltags gerückt zu sein und wir freuen uns wieder auf das Reisen, so sehr es auch durch Staus, Lieferengpässe und abgesagte Flüge erschwert wird. Fort, bloß fort zieht es uns. Das Unterwegssein erscheint zugleich als Flucht und Belohnung. Wir werfen einen Blick über die Schulter zurück – und sehen zweieinhalb schwierige Jahre, welche die Welt verändert haben. Auf einmal ist uns bewusst, was wir verlieren könnten – und ziehen Bilanz über das, was wir bereits verloren haben. Die Erkenntnis, der wir uns womöglich verweigern, lautet: Stillstand ist keine Option. Schriftsteller*innen neigen vielleicht dazu, ihre Abenteuer im Kopf stattfinden zu lassen, Drahtseilakte auf die Fiktion zu beschränken – doch Aufbruch und Wagnis sind eine Notwendigkeit im Leben, selbst für Schriftsteller*innen mittleren Alters.

Die zwölf großen Gefühle

Es gibt einiges aufzuholen, was den Inhalt dieser Website angeht. Zum Beispiel wäre zu berichten gewesen, wie die virtuelle Preisverleihung im Literaturhaus Zürich am 4. Februar dieses Jahres verlief – eine logistische Meisterleistung, bei der alle zwölf Preisträger des Wettbewerbs „Die großen Zwölf“ (präsent auf einer riesigen Leinwand, von Zoom-Kacheln lächelnd) ihre Texte lasen und interviewt wurden – während kurioserweise das Publikum selbst live im Literaturhaus dabei sein durfte. Mit den „Großen Zwölf“ waren übrigens nicht die ausgezeichneten Autor*innen gemeint, sondern zwölf große Emotionen, welche die monatliche Themenstellung bestimmten: „Hoffnung“ war das Thema im Januar – dem Monat, in dem mein Text „Das Zeichen“ die Ausschreibung gewann – ein hoffnungsfroher Start ins literarische Jahr also.

Zuflucht

Ein paar Wochen erlebte ich den Aufwand, den die Organisation und die Aufzeichnung eines großen Online-Events bedeuten, dann auch aus der Sicht der Macher*innen mit. Seit der letzten Ausgabe der Literaturzeitschrift neolith (beheimatet an der Bergischen Universität Wuppertal) bin ich – Dank virtueller Meetings – Teil des Redaktionsteams. Am 27.Februar zeichneten wir unsere Online-Releaselesung mit allen an der aktuellen Ausgabe – neolith#6 zum Thema „Zuflucht“ – beteiligten Autor*innen auf, die ihr hier findet: https://www.youtube.com/watch?v=hirCZahD6uY.

Am 7. Mai gab es dann auch nochmal eine Live-Veranstaltung zum Erscheinen von neolith#6, organisiert vom Literaturhaus Wuppertal – bei dem die Macher*innen der Literaturzeitschriften neolith, Karussell und KLiteratur aufeinandertrafen und miteinander über ihre Arbeit ins Gespräch kamen.

Hoffnung. Trauer.

Die Ausgabe von neolith stand dieses Mal im Zeichen des Themas „Zuflucht“. Sie gewann in diesem Frühjahr mit dem russischen Überfall auf die Ukraine an unerwarteter Aktualität. Auch als ich im März mein kleines Gedicht „Paket“ für die Spendenanthologie #Antikriegslyrik des Berliner Trabantenverlags verfasste (nein, ich bin keine Lyrikerin, aber es war für einen guten Zweck) ahnte ich nicht, dass es mir im August noch einmal begegnen würde – nämlich im Rahmen einer Handreichung des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die Gestaltung von Gottesdiensten zu Volkstrauertag.

Das literarische Vermächtnis eines russischen Studenten

Eine besondere Freude war es für mich, den diesjährigen Daniil Pashkoff Prize in der Sparte Prosa (over 19, obviously ;)) zu gewinnen.

In einer anderen Sprache zu schreiben, ist ein Aufbruch und ein Wildern im fremden Territorium. Da kann und muss vieles schiefgehen. Das Spiel mit Übersetzung und Bedeutung öffnet aber auch ungeahnte Möglichkeiten, besonders für die Schreibenden selbst. Die Frage und Ahnung, mit welcher (authentischen) Stimme man in einer anderen Sprache schreiben könnte, ist für Autor*innen wohl eine der spannendsten überhaupt.

Der Daniil Pashkoff Prize for Creative Writing in English by a Non-Native Speaker wird alle zwei Jahre für Texte in englischer Sprache verliehen, die von Nichtmuttersprachler*innen verfasst wurden. Benannt ist der Preis nach Daniil Pashkoff, dem ersten russischen Anglistikstudenten an der TU Braunschweig. Er brachte aus seiner Heimatstadt Novosibirsk eine ansteckende Leidenschaft für die englische Sprache und Literatur mit. Daniil verstarb unerwartet im Juli 1998 im Alter von nur 27 Jahren und hinterließ einen großen Freundeskreis, der um sein einzigartiges Talent trauerte. Aufgrund dessen entstand die Idee, einen Preis für kreatives Schreiben in englischer Sprache unter Nichtmuttersprachler*innen auszuloben.

Die festliche Verleihung der Preise fand in diesem Jahr am 11. Juni im alten Rathaus in Braunschweig statt.

Auf der Insel

Auch bei den sogenannten Bieler Gesprächen, die in diesem Jahr vom 2. bis 3. Juli wieder live und vor Ort im Schweizerischen Literaturinstitut in Biel stattfanden, ging es vor allem um Literatur, Sprache und Übersetzung – in diesem Falle zwischen Italienisch, Französisch und Deutsch. Ich war bei den Bieler Gesprächen mit einem Auszug aus meiner Story „Die Insel“ zu Gast, die in einem Forum von Autor*innen, Sprachwissenschaftler*innen und Übersetzer*innen diskutiert wurde – für mich eine unglaubliche Erfahrung. Einer solchen Runde entgeht keine Schwäche des Textes – während ein Lob aus ihrer Mitte eine köstliche Labsal für die (mehr oder minder) stets zweifelnde Schriftsteller*innenseele darstellt.

Vielleicht entdeckst du sie deshalb, die Insel. Dieses von allem abgeschnittene Territorium, herausgesäbelt aus den Gefilden tief unter dir, inmitten der mehrspurigen Schleifen, der sichelförmigen Zu- und Abfahrten, jenseits eines Bahndamms, diesseits eines Stausees, in südöstlicher Richtung verjüngt zu einer Zunge, die sich unter die Brücke schiebt. Eine Insel, ganz eindeutig: Ausmaße, Morphologie, Baumbestand, Zeit- und Erdschichten, halb versunkene Festungswälle von Großbaustellen, denen kleinere Eingriffe folgten, wieder vernarbten, während sich der Verlauf der Fahrbahnen um neue Grate und Verwerfungen erweiterte. Doch im Zentrum überlebte die Insel, ein Eiland von beachtlicher Größe im Meer der menschengemachten Ödnis – schattig, einsam, üppig. Wild.“

„Die Insel“ erscheint demnächst in englischer Übersetzung im vierteljährlich erscheinenden Journal
Trafika Europe der Penn State University, New York.

Umbruch. Aufbruch.

Für mich ist es eine seltsame Zeit, dieser Sommer 2022. Umbrüche liegen hinter mir – unter anderem zwei Covid-Erkrankungen, die ohne vollen Impfschutz wohl weit weniger glimpflich verlaufen wären. Es ist eine Zeit des Innehaltens, kurz vor dem Aufbruch.

Den größten Teil des Herbstes werde ich für einen Schreib- und Rechercheaufenthalt in den englischen Grafschaften Devon und Somerset nutzen – gesplittet zwischen einem Cottage an der Südküste, einer sogenannten Sheperd Hut im Herzen der Blackdown Hills und dem Artist Retreat Awakenings at Wick.

Arbeiten werde ich am Abschluss eines Projekts mit dem Arbeitstitel „Phantomgrenzen“, einer Art surrealem Roadmovie im Europa der Zukunft, in dem sich Geschichten um unterschiedliche Figuren verzweigen und neu verflechten.

Zudem werden Illustrationen und Texte für ein gemeinsames Projekt mit dem englischen Lyriker Matt Bryden entstehen – ein Aufbruch in die lange vernachlässigten Gefilde von Zeichenstift und Farbe, noch ein Wagnis also – das Risiko einer Blamage inbegriffen.

Doch was gibt es dabei denn wirklich zu verlieren – außer der Hoffnung?

Schreiben macht reich!

Ja, das hätten Sie nicht erwartet, oder? Dennoch: Jeder, der selbst schreibt, wird diese Aussage unterschreiben.

Schreiben macht glücklich.

Schreiben macht reich.

Sorry, ich rede nicht von Geld. Es kommt schon auch auf die eigene Weltsicht an.

Ok, ich weiß, jetzt sind Sie enttäuscht.

Aber bevor Sie sich jetzt wegklicken:

Schreiben ist reichhaltige Lebenszeit, glauben Sie mir. Als Schriftstellerin mäste ich mich schamlos an den Erfahrungen meiner Figuren, an der Atmosphäre der von mir erschaffenen Orte, an der Entfesselung von Fantasie und verrückten Einfällen. Blicke ich zurück, sehe ich bereichernde Erfahrungen: Meisterkurse mit Ilija Trojanow und Burkhard Spinnen, ein Drehbuchcamp mit den Hollywood-Drehbuchdoktoren Keith Cunningham und Tom Schlesinger und natürlich die Stipendien für Schreibaufenthalte in Bogotá, Kolumbien und auf Hawthornden Castle in Schottland. Ganz zu schweigen von den vielen menschlichen Begegnungen auf diesem Weg.

Ja. Schreiben macht das eigene Leben vielschichtig und bunt, süß und sättigend.

Ich selbst habe kommerziell gesehen eher die magere Kost gewählt: Kurzgeschichten und Erzählungen. Nein, ich werde es wohl nie dazu bringen, mit schöner Regelmäßigkeit backsteindicke Manuskripte abzuliefern. Und bevor Sie fragen: Ich hadere nicht mehr damit.

Zugegeben: Früher schon ein wenig. Ich habe sehr lange gebraucht um herauszufinden, dass es genau das ist, was ich schreiben will. In den Erzählsträngen von Romanmanuskripten verheddere ich mich. Romane recken ihre Krakenarme in alle Winkel des Lebens, sind launisch und unbeherrschbar. Romane enthalten Figuren, mit denen ich keine Langzeitbeziehung wünsche.K1024_P1100383 (2)

Erzählungen und Short Stories sind wie Fenster, die man weit aufstößt und hinter denen ein fest umrissener Ausschnitt einer ganz eigenen Welt liegt. Schreibe ich an einer Geschichte bilde ich genau diesen Ausblick ab, arrangiere Figuren und Schauplätze, Atmosphäre und Spannung an meinem Schreibtisch mit Blick aus diesem fiktionalen Fenster. Dann, wenige Seiten später, räume ich den Tisch ab und decke ihn neu, stoße ein neues Fenster auf und experimentiere mit neuen Werkzeugen: einer anderen Sprachebene, neuen Perspektiven und Stilmitteln. Kurze Texte verzeihen keine falsch gesetzten Wörter und Sätze. Deshalb investiert man in sie – so mag es scheinen – unverhältnismäßig viel Zeit und Sorgfalt. In vieler Hinsicht fühle ich mich in meiner Wortklaubberei und pingeligen Langsamkeit den Lyrikern sehr viel näher als den Romanschreibern.

Nein, ich werde nie backsteindicke Manuskripte abliefern.

Zudem treibe ich mich seit jeher auf anderen, heiß geliebten Arbeitsfeldern herum.

Die Wissenschaft brachte mir bei, methodisch vorzugehen und genau hinzusehen – sie bewahrt mich noch heute vor vorschnellen Schlüssen.

Ausflüge in Redaktion und Journalismus sind das zweifache Heilmittel gegen Neugier und Schüchternheit: Ich kann spannenden Stories nachgehen und habe einen Vorwand, um jedem auf die Nerven zu gehen, der mich interessiert – ist das nicht fantastisch?

Als Ghostwriter und Bewerbungsberaterin schlüpfe ich in die Haut meiner Kund*Innen (wie ich das sonst mit meinen Figuren zu tun pflege) und stelle mich in den Dienst ihrer Bedürfnisse, Hoffnungen und Pläne.

Als Dozentin für kreatives und berufliches Schreiben helfe ich meinen Teilnehmer*innen dabei, das Abenteuer Schreiben ganz neu zu entdecken und im Vorstudium der DEKART unterstütze ich angehende Kunst- und Designstudent*innen dabei, ihrer ureigenen Vision und künstlerischen Stimme auf die Spur zu kommen. Und mal ganz ehrlich: was macht reicher und glücklicher als Reichtum und Glück weiterzugeben?

 

 

Eine Nominierung, Umzugskisten und herumstreunende Bücher

Autoren sind eitel. Klar sind wir das! Vielleicht hungern wir sogar noch viel mehr als andere Berufsgruppen nach einer gewissen Anerkennung. Im Normalfall begnügen wir uns schon mit wenig Beachtung und einer kleinen Leserschaft, reich werden die meisten von uns ohnehin nicht. Umso seltsamer scheint es, wenn eine Autorin keinen Wind davon bekommt, dass ihr Buch für einen Preis nominiert war.

Peinlich, aber mir ist das tatsächlich passiert. Nur zu erklären durch ein schweres Trauma, ein Koma?

Naja. Nicht ganz so dramatisch. Manchmal taucht man eben ab, tief in einen Plot, beispielsweise. Von Zeit zu Zeit reißt auch das „echte“ Leben Löcher in die Schreibzeit. In meinem Fall war das im letzten Jahr ein Umzug, eine neue Umgebung, ein neues Zuhause – ein altes Haus, ein alter Garten und alte Bäume!

Seit ich vor Jahrzehnten mein Elternhaus verlassen habe, bin ich unzählige Male umgezogen. Nie hatte ich vor, irgendwo länger zu bleiben. Die Vorstellung sesshaft zu werden war mir geradezu unheimlich. Nun ist es anders, diesmal will ich bleiben. Dabei habe ich festgestellt, dass dieser Vorsatz die Sache verändert. Der Ort wacht auf, wirft sich herum und überwältigt dich. Ergreift von dir Besitz. Kaufverträge sind das eine, Zuwendung, Ausblicke, alte Bäume und Gartenerde an den Händen sind das andere.

Ich bin empfänglich für Orte. Orte waren immer der Ausgangspunkt meiner Geschichten. Reisen, Bruchstücke aufklauben, zurückkehren, schreiben. Die Atmosphäre eines Ortes trägt mich durch meine Geschichten und nicht selten sind Orte die heimlichen Hauptakteure meiner Stories. Kein Wunder also, dass ich mein Buch aus den Augen verloren habe.

„Die Nachtprotokolle“ haben sich derweil aufgemacht, ein wenig herumzustreunen wie ein vernachlässigtes Haustier. Eigenartig und eigensinnig waren seine Geschichten sowieso, halsstarrig geradezu – wie die Verfasserin. (Nur so nebenbei: Einmal habe ich bei ihrer Entstehung meine liebenswerte Autorengruppe, die LiteRatten, fast vergrault. Anlass waren die sperrigen Zitate in der Geschichte „Die Auslöschung“ – keiner der anderen wollte so recht einsehen, warum die stehen bleiben sollten, obwohl sie den Lesefluss und das Abtauchen des Lesers in die Geschichte immer wieder so rüde unterbrachen.)

Obwohl ich „Die Nachtprotokolle“ also nicht mit adequatem Futter versorgt habe  (kein Klinkenputzen, keine Bettelbriefe an Rezensenten) ist das Buch zu meiner Überraschung doch von manchen gelesen worden. Jedenfalls öffnete ich irgendwann die neue (ziemlich alte und undichte) Haustür und es kam hereingeschlüpft: Zerflederrt, voller Eselsohren, erschöpft, aber ganz offensichtlich zufrieden. Es ließ sich wortlos auf den Bettvorleger fallen und schlief ein.

Was so ein Buch ganz allein an Abenteuern erleben kann, das haben mir „Die Nachtprotokolle“ hinterher erzählt. Zunächst waren sie für den Vincent-Preis nominiert. Der Vincent-Preis ist ein Publikumspreis, der jedes Jahr die besten literarischen Werke der Genre Horror und Unheimliche Phantastik auszeichnet. „Die Nachtprotokolle“ standen dort auf der Liste der Storysammlungen, etwas verschämt, weil sich das Ganze die Horrorliste nennt Unheimlich ja, phantastisch zuweilen, aber der Horror, das sei doch eine Frage des Empfindens, meinten sie hinterher, bei ihnen gehe es ja eher um das Unterschwellige.

Blieben aber, wo sie waren und warteten geduldig die Entscheidung ab. Nein, kein Preis, am Ende, ein wenig enttäuscht, das seien sie schon gewesen, aber doch mitgemacht, gell?, das sei doch die Hauptsache, jedenfalls behaupteten das doch immer alle – und jedenfalls ohne die geistesabwesende Autorin, die gerade mit Umzugskisten, Pinsel und Farbe, Zuchini und Mohrrüben beschäftigt war!

Und dann ist da noch diese Rezension im Internetführer in Sachen Fantastik. Da hat ein Rezensent, der sich Cronn nennt, jede einzelne Geschichte sehr genau gelesen und besprochen. Nein, er übersieht dabei keine noch so kleine Textschwäche. Umso mehr wissen wir (die Nachtprotokolle und ich) sein großes Lob zu schätzen:

„In der deutschen Phantastikszene als Kurzgeschichtenautor wahrgenommen zu werden, bedarf einer eigenen Stimme. Diese eigene Stimme, ein schwer zu definierender Sprachfluss in Kombination mit stilistisch eigenem Ausdruck und spezieller Wortwahl, sollte sich vom reinen Fan-Fiction-Allerlei abheben. Sie zu finden, ist eine der lohnenswertesten Angelegenheiten, denen sich ein Autor verschreiben kann. Anke Laufer ist eine Autorin, die mit ihrem Buch Nachtprotokolle diese eigene Stimme bereits gefunden hat. Damit kann schon jetzt eine Empfehlung für alle diejenigen Leser ausgesprochen werden, die sich für anspruchsvolle Literatur interessieren.“

 

 

 

Einmal Hawthornden Castle und zurück

K1024_P1100433 (2)Hawthornden Castle liegt ein paar Kilometer südlich von Edinburgh in einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Tal des Flusses Esk. Als „International Retreat for Writers“ beherbergt es in monatlichem Wechsel um die fünf für ein Stipendium ausgewählte Dichter und Schriftsteller, bekannt als die sogenannten „Hawthornden Fellows“.  All das – und viele andere Projekte weltweit – sind der großen Kunstmäzenin Drue Heinz zu verdanken.

Ich habe Schwierigkeiten mit diesem Beitrag. Obwohl ich jeden Arglosen, der den Fehler macht, mich nach meinem Schreibmonat auf Hawthornden Castle zu fragen, mit grenzenloser Begeisterung übersprudle. Schnell habe ich nämlich gemerkt, dass mein atemloses Hin- und Herspringen zwischen Bildern, Gesprächsfetzen und Geschichten nichts vermitteln kann von dem, was dort passiert ist, was wohl jedem Hawthornden Fellow widerfährt.

Meine in diesen Wochen liebgewonnenen Kollegen werden das sicher besser machen als ich: Die beiden Lyriker, Annemarie Ni Churreáin (Irland) und Matt Bryden (Großbritannien) und die Dramatikerin Carolyn Kras (USA). Sie werden ihre Eindrücke und Erfahrungen zu leuchtenden, vielschichtigen Zeilen, Metaphern, Szenen verdichten.

Mir, einer Geschichtenerzählerin, bleibt bloß die eigene Methode. Die Collage, das Sammelsurium. Also dann mal los. Weiterlesen „Einmal Hawthornden Castle und zurück“

„Spinnweben“ erscheint

Die Anthologie zur Literaturausschreibung des Lionsclub Hamburg-Moorweide ist nach Mitteilung der Veranstalter fertig gestellt. Sie enthält meinen Text „Rumors Bildserie“, die Geschichte eines Abtrünnigen, der Zeuge des Verbrechens an einer Außenseiterin wird. Am Ende muss sich der Protagonist zwischen Geschwisterliebe und Gerechtigkeit entscheiden. Eine schwere Prüfung, wie sich herausstellt, wo er sich doch längst von seiner Familie losgesagt zu haben glaubte. Zur Präsentation der Anthologie, die im Verlag Peter Rathke erscheint, wird es am 27.5.2015 um 19.00 Uhr eine Lesung im Warburghaus, Heilwigstraße 116, 20249 Hamburg, geben. Spinnweben Cover

Wechselwirkungen: Das Pendeln zwischen Wort und Bild.

Es ist kein Geheimis. Nichts, was ich für mich als Neuentdeckung beanspruche. Aber  – schon weil der Untertitel meines Blogs nicht zufällig auf den Zusammenhang zwischen Wort, Bild und Storytelling verweist – wird es Zeit, dass ich darüber ein paar Worte verliere und erzähle, wie dieses Pendeln zwischen den Medien bei meiner Arbeit aussieht. Auch im Rahmen meiner Seminare werde ich häufig mit Fragen nach der Entstehung von Ideen und dem kreativen Prozess konfrontiert. Die Frage „Wie macht man das?“ kann ich nicht beantworten – aber möglicherweise hilft das Folgende dem einen oder anderen Leser, durch den Vergleich der ganz eigenen Arbeitsweise auf die Spur zu kommen.

Manche Autoren schreiben nach ihrem eigenen Soundtrack. Für mich stellen fertige Geschichten eine Umsetzung von Bilderfolgen dar. Das heißt, beim Schreiben habe ich zu Beginn eine Art wilde Collage, dann eine Art Storyboard und am Ende einen Film vor Augen. Die Bilder in meinem Kopf habe ich vorher eichhörnchenartig gehortet. Bei Recherchen, vor allem aber unterwegs, hier oder irgendwo auf Reisen. Ich vergrabe sie in Schubladen und Dateien und vergesse sie für eine Weile.K1024_P1060909

Jahrelang habe ich auch reine Text-Notizbücher geführt, doch davon bin ich abgekommen. Meine ersten Notate zu einer Geschichte erscheinen mir rückblickend oft flach, blass und ausgesprochen mager im Vergleich zu einem Kameraschnappschuss oder einer (noch so unzulänglichen) Skizze. Der Ursprung meiner persönlichen Bilderflut ist ein oft bemühtes Klischee: Das Zeichnen und Malen stand in meiner Kindheit und Jugend lange weit über dem Schreiben. Das Fotografieren kam dazu, als mein Vater mir erlaubte, seine Kamera zu benutzen. Heute dagegen sollen Bilder in erster Linie eine Funktion erfüllen, die zunächst einmal nichts mit künstlerischem Anspruch zu tun hat. Sie sollen meine Gedächtsnisstütze sein (mein Erinnerungsvermögen ist nicht besonders), eine Spur, ein Fingerabdruck des Erlebten und Empfundenen. Hinzu kommen Fundstücke. Ein jüngeres Beispiel: Auf einer Wanderung im Dezember 2014 unterhalb der Klippen von Portland, Dorset, fanden meine Tochter Elodie und ich einen zu kleinen Schnipseln zerrissenen Einkaufszettel für ein bevorstehendes Weihnachtsessen. Diese Fetzen, die ich spontan aufsammelte und einsteckte, rufen heute noch zuverlässig eine Empfindung hervor, in welcher der Keim für eine meiner nächsten Storys stecken könnte.

Fundstück: Ein Einkaufszettel. Collage: Elodie Cruz
Fundstück: Ein Einkaufszettel. Collage: Elodie Cruz

Fotos schieße ich häufig aus der Hüfte und mit einer kleinen Kamera. Da ich so entstandene Bilder  – auch von Straßenszenen und Einzelpersonen – nie ohne entsprechende Verfremdung nach außen gebe  (beim Zeichnen geschieht das angesichts meiner begrenzten gestalterischen Fähigkeiten ganz zwangsläufig) halten sich meine Skrupel bei einem solchen Vorgehen in Grenzen.

P1060636 (4)

Reisetagebücher  stellen in meinem Fall ein Sammelsurium an Materialien dar, ganz im Sinne der sogenannten Scrapbooks. Es ist nützlich, sich dabei  klar zu machen, dass diese Tradition weiter zurückreicht als bis zu jener Bastelwelle, die seit ein paar Jahren aus Nordamerika zu uns herüberschwappt – nämlich bis hin zu den Reisetagebüchern der großen Weltreisenden, Schriftsteller und Künstler. Ich finde, man sollte allen Versuchungen widerstehen, solche Bücher zu rein dekorativen Vorzeigeprojekten mit bunt-beliebigen Bildchen verkommen zu lassen. Die Materialien auf einer Reise zu sammeln und vor Ort (oft unter Zeitdruck) zu verwerten hilft dabei, das Ganze in einem unmittelbaren und improvisierten Stadium zu belassen und Wichtiges von Belanglosem zu unterscheiden.P1060904

Die aus dem Design und Marketing stammenden Moodboards schließlich helfen mir, die Atmosphäre einer Geschichte herauszuarbeiten. Meistens haben Storys für mich schon in einem frühen Entwicklungsstadium eine gewisse „Anmutung“ (visuell, auditiv, olfaktorisch, haptisch), die aber zunächst recht fließend und vage ist. Moodboards helfen, solche Stimmungen aus dem noch unbestimmten Material herauszuschälen und in eine sinnliche und bildhafte Sprache umzusetzen. Auch diese Moodboards folgen nicht in erster Linie ästhetischen Ansprüchen, sondern sind persönliche Arbeitsgrundlagen für das Schreiben und speichern abschließend die lebhafte Erinnerung an den Entstehungsprozess einer Geschichte.

Ausschnitt aus dem Moodboard "Die Auslöschung" zu einer Geschichte, die im 19.Jh. auf den äußeren Hebriden spielt
Ausschnitt aus dem Moodboard „Die Auslöschung“ zu einer Geschichte, die im 19.Jh. auf den äußeren Hebriden spielt

 

 

Mitten im Countdown …

Es war ein spannendes, aber auch ein unordentlich-struppiges  Jahr. Es sitzt auf meiner Schreibtischkante und schlenkert mit den Beinen, während die eine oder andere Erinnerung in meinem Gedächtnis aufploppt. Im April war da der Besuch auf der London Book Fair, im Mai versuchte ich mich als offizielle Fotografin bei der ver.di-Frauen Mitgliederversammlung in Stuttgart, im Juli hielt ich einen Vortrag zum Storytelling und besseren Schreiben im Beruf vor rund hundert Erzieherinnen in Reutlingen, im August nahmen internationale Studenten an meinem Schreibworkshop an der Universität Tübingen teil, im November war ich dann wieder selbst Zuhörerin beim Regionaltreffen der Mörderischen Schwestern mit Vorträgen geladener Experten zu polizeiliche Ermittlungsverfahren, menschlichen Hirnparasiten und Astronomie. Und über das ganze Jahr hinweg war da natürlich auch die  Arbeit mit all den schreibbegeisterten Teilnehmern meiner Kurse an der VHS Reutlingen und im Volkshochschulheim Inzigkofen. Hinzu kamen Lesungen und Veröffentlichungen, davon manche noch in Vorbereitung.

Besondere Belohnungen waren das Arbeitsstipendium der „Mörderischen Schwestern“, und ein Aufenthaltsstipendium im International Writers Retreat auf Hawthornden Castle für November 2015, die mir beide in diesem Jahr für die Arbeit an meinen Erzählungen zugesprochen wurden. Beide Auszeichnungen sind ein Ansporn, weiterzumachen. Denn um es mal deutlich auszusprechen: Solche Leuchtraketen am Autorenhimmel gibt es. Ab und zu. Selten.

P1060128 (2)

Nur wenn man unglaublich  stur ist, den Dschungel aus Selbstzweifeln mit der Machete in handliche Stücke hackt und sich traut, Texte immer wieder in die Welt hinauszuschicken. Auch wenn abzusehen ist, dass man sich nur kurze Zeit später unter hereinprasselnden Absagen ducken wird. Denn das tägliche Brot eines Autors sind nicht Preise und Stipendien, sondern Absagen. Höfliche Absagen und freundliche Absagen, „knapp daneben“-Absagen, über denen man vielleicht am längsten brütet. Und natürlich finsteres, eisiges Schweigen.

Kann sein, dass es da draußen Autoren und Autorinnen gibt, die das nicht (oder viel eher: nicht mehr) erleben. Begnadete Gestalten, denen jede Erstversion ihrer Manuskripte, kaum heruntergekritzelt, schon aus den Händen gerissen wird. Die sich daher nicht mit lästigem Gegrübel und Überarbeitungsgängen herumschlagen müssen. Doch das sind seltsame und vom Aussterben bedrohte Exemplare, von denen ich keins persönlich kenne. Ehrlich nicht.

„If you have difficulties with a book, try the element of surprise: attack it at an hour when it isn´t expecting it.“ H.G. Wells.

Der Brief aus Schottland

Vor ein paar Tagen ist der Brief endlich ins Haus geflattert. Nein, keine Mail, ein echter Brief aus dickem, beigen Briefpapier mit Wasserzeichen und dem Konterfei der Queen auf der taubenblauen Briefmarke:  Der Bescheid des Hawthornden International Retreat for Writers. Den Brief endlich aufzumachen war gar nicht so leicht, zu sehr hatte ich mir gewünscht, für eines der Aufenthaltsstipendien 2015 ausgewählt zu werden – und zu sehr fürchtete ich mich davor, enttäuscht zu werden. Doch manchmal werden Stoßgebete erhört. Was ich nicht zu hoffen gewagt hatte, ist eingetroffen. Ich darf mich doch tatsächlich im nächsten Jahr auf einen Monat ungestörter Schreibzeit auf dem malerischen Hawthornden Castle in Midlothian freuen! Bis dahin heißt es nun sich vor-freuen, abwarten und Tee trinken.

Es gibt Zeiten, da ist der Himmel eines Schreiberlings leuchtendblau wie die schottische Flagge…

 

P1060192(1)

Vom Fußball und Hollywood

Heute ist es so weit: Es wird sich erweisen, ob es für unsere Nationalmannschaft ein Happy End oder doch eine dramatische Wendung geben wird, die sich der Autor bis ganz zuletzt aufgehoben hat. Wäre der Fußballgott ein Schriftsteller und ich eine Literaturkritikerin so müsste ich angesichts dieser Weltmeisterschaft in Lobeshymnen ausbrechen, denn sie hat uns alles geboten, was eine gut erzählte Geschichte ausmacht. Schon vor Beginn das Aufbegehren der durch das Spektaktel Benachteiligten, der Sturz einstiger Helden zum Auftakt, dann große Gesten und flatternde Banner, sowohl gerechte als auch ruchlose Szenen auf dem Schlachtfeld, ehrliche Tränen und falsche Töne, Verbannung und Verletzungen, Jubel und  Ekstase.

Und nun also der große Showdown.  Zur Hölle mit der Tatsache, dass eine letzte Wendung für die Geschichte besser wäre. Zur Hölle mit dem Anspruch. Ich will Hollywood. Ich will mein Happy End.

P1050798 P1050786

NaNoWriMo und die Zukunft des Geschichtenerzählens

In diesem Monat habe ich mich wieder auf das Abenteuer NaNoWriMo eingelassen. Das heißt, dass ich diesen Beitrag überhaupt nicht schreiben dürfte, denn ein inzwischen zur Hälfte fertiggestelltes Rohmanuskript wartet auf tägliche 1667 Wörter. Man verzeihe mir deshalb, wenn auch der vorliegende Blogbeitrag einer Art Rohmanuskript entspricht, für Überarbeitungen war leider keine Zeit. Was ist Nanowrimo eigentlich?

Überall auf der Welt verpflichten sich Abertausende von Teilnehmern (diesmal rund 300 000)  beim National Novel Writing Month innerhalb eines Monats ein komplettes Romanmanuskript zu schreiben. Ziel sind 50 000 Wörter, was in etwa 200 Normseiten entspricht.Get off Facebook

Man müsste weit ausholen, um den Zauber dieses Schreibgroßereignisses zu beschreiben. Er liegt in der Hauptsache darin, beim Schreiben (wenn auch nur für einen Monat) kein Einzelkämpfer mehr zu sein, und ja: Im Ansporn der Zahlen und Statistiken. Das Schreiben auf „Teufel-komm-raus“ überlistet des inneren Zensor, der alles für unzulänglich befindet, was in einer ersten Version entsteht. Insofern ähnelt Nanowrimo einem großen Lagerfeuer, an dem viele sitzen und ihre  Geschichten erzählen. Es gibt kein Abbrechen und Zurückblicken, bevor nicht alles erzählt ist. Schon allein deshalb lohnt sich die Sache, für Schreibende, die einen ersten Versuch wagen, aber ebenso für erfahrene Autoren, die zum endlosen Überarbeiten und zum Perfektionismus neigen. Sicher eignet sich das Konzept nicht für jeden – aber es ist auch dann einen Versuch wert, wenn man es auf den ersten Blick für blödsinnig hält: Der eigentliche Sog des Nanowrimo entwickelt sich erst beim Mitmachen. Wieviel Spaß und Anregung das bringen kann, zeigen für mich auch die lokalen Zwischentreffen der Nano-Besessenen wie das am 10.11.2013 (siehe Bild)

Ach ja, und in diesem Jahr gibt es eine ideale Ergänzung für alle, die tiefer in die Welt des Geschichtenerzählens einsteigen wollen. Die Fachhochschule Potsdam bietet im Rahmen der Iversity einen Kurs, der unter dem Titel  „The future of Storytelling“ über neueste und zukünftige Entwicklungen des Geschichtenerzählens in verschiedenen Mediensparten informiert. Der Kurs läuft noch bis zum 20.Dezember 2013, setzt allerdings gute Englischkenntnisse voraus.

Aber jetzt muss ich euch leider verlassen. 1667 Wörter warten noch darauf, heute geschrieben zu werden.

P1010634
Nanowrimo – lokales Zwischentreffen am 10.11.2013

Nachtrag:

29.11.2013 -Es ist geschafft. Nach neunundzwanzig Tagen sind 50 000 Wörter geschrieben. Ein wenig erschöpft, doch zufrieden, arbeite ich derzeit noch an den letzten beiden Szenen, die mein NaNoWriMo – Projekt in diesem Jahr beschließen und die wie ein Fähnchen über das Soll hinausflattern. Tatsächlich ist es mir gelungen, den vollständigen Plot in einer Grobversion herunterzuschreiben mit der ich anschließend gut werde weiterarbeiten können – denn auf den ersten Blick enthält sie keine gravierenden logischen Widersprüche, überflüssige Wiederholungen und allzu peinlich schlechte Szenen. Das ist schon eine ganze Menge, sage ich mir, viel mehr als man eigentlich erwarten kann. Daher gibt es zur Belohnung nicht nur einen frisch aufgebrühten Kaffee, sondern auch noch einen Lebkuchen mit Schokoladenguss.

Das Manuskript wird nun erst einmal  zugunsten der Feinarbeit an einem  anderen zurückgestellt und darf gut durchziehen, bevor ich mich im Frühjahr an eine erste Überarbeitung wage.