Autoren sind eitel. Klar sind wir das! Vielleicht hungern wir sogar noch viel mehr als andere Berufsgruppen nach einer gewissen Anerkennung. Im Normalfall begnügen wir uns schon mit wenig Beachtung und einer kleinen Leserschaft, reich werden die meisten von uns ohnehin nicht. Umso seltsamer scheint es, wenn eine Autorin keinen Wind davon bekommt, dass ihr Buch für einen Preis nominiert war.
Peinlich, aber mir ist das tatsächlich passiert. Nur zu erklären durch ein schweres Trauma, ein Koma?
Naja. Nicht ganz so dramatisch. Manchmal taucht man eben ab, tief in einen Plot, beispielsweise. Von Zeit zu Zeit reißt auch das „echte“ Leben Löcher in die Schreibzeit. In meinem Fall war das im letzten Jahr ein Umzug, eine neue Umgebung, ein neues Zuhause – ein altes Haus, ein alter Garten und alte Bäume!
Seit ich vor Jahrzehnten mein Elternhaus verlassen habe, bin ich unzählige Male umgezogen. Nie hatte ich vor, irgendwo länger zu bleiben. Die Vorstellung sesshaft zu werden war mir geradezu unheimlich. Nun ist es anders, diesmal will ich bleiben. Dabei habe ich festgestellt, dass dieser Vorsatz die Sache verändert. Der Ort wacht auf, wirft sich herum und überwältigt dich. Ergreift von dir Besitz. Kaufverträge sind das eine, Zuwendung, Ausblicke, alte Bäume und Gartenerde an den Händen sind das andere.
Ich bin empfänglich für Orte. Orte waren immer der Ausgangspunkt meiner Geschichten. Reisen, Bruchstücke aufklauben, zurückkehren, schreiben. Die Atmosphäre eines Ortes trägt mich durch meine Geschichten und nicht selten sind Orte die heimlichen Hauptakteure meiner Stories. Kein Wunder also, dass ich mein Buch aus den Augen verloren habe.
„Die Nachtprotokolle“ haben sich derweil aufgemacht, ein wenig herumzustreunen wie ein vernachlässigtes Haustier. Eigenartig und eigensinnig waren seine Geschichten sowieso, halsstarrig geradezu – wie die Verfasserin. (Nur so nebenbei: Einmal habe ich bei ihrer Entstehung meine liebenswerte Autorengruppe, die LiteRatten, fast vergrault. Anlass waren die sperrigen Zitate in der Geschichte „Die Auslöschung“ – keiner der anderen wollte so recht einsehen, warum die stehen bleiben sollten, obwohl sie den Lesefluss und das Abtauchen des Lesers in die Geschichte immer wieder so rüde unterbrachen.)
Obwohl ich „Die Nachtprotokolle“ also nicht mit adequatem Futter versorgt habe (kein Klinkenputzen, keine Bettelbriefe an Rezensenten) ist das Buch zu meiner Überraschung doch von manchen gelesen worden. Jedenfalls öffnete ich irgendwann die neue (ziemlich alte und undichte) Haustür und es kam hereingeschlüpft: Zerflederrt, voller Eselsohren, erschöpft, aber ganz offensichtlich zufrieden. Es ließ sich wortlos auf den Bettvorleger fallen und schlief ein.
Was so ein Buch ganz allein an Abenteuern erleben kann, das haben mir „Die Nachtprotokolle“ hinterher erzählt. Zunächst waren sie für den Vincent-Preis nominiert. Der Vincent-Preis ist ein Publikumspreis, der jedes Jahr die besten literarischen Werke der Genre Horror und Unheimliche Phantastik auszeichnet. „Die Nachtprotokolle“ standen dort auf der Liste der Storysammlungen, etwas verschämt, weil sich das Ganze die Horrorliste nennt Unheimlich ja, phantastisch zuweilen, aber der Horror, das sei doch eine Frage des Empfindens, meinten sie hinterher, bei ihnen gehe es ja eher um das Unterschwellige.
Blieben aber, wo sie waren und warteten geduldig die Entscheidung ab. Nein, kein Preis, am Ende, ein wenig enttäuscht, das seien sie schon gewesen, aber doch mitgemacht, gell?, das sei doch die Hauptsache, jedenfalls behaupteten das doch immer alle – und jedenfalls ohne die geistesabwesende Autorin, die gerade mit Umzugskisten, Pinsel und Farbe, Zuchini und Mohrrüben beschäftigt war!
Und dann ist da noch diese Rezension im Internetführer in Sachen Fantastik. Da hat ein Rezensent, der sich Cronn nennt, jede einzelne Geschichte sehr genau gelesen und besprochen. Nein, er übersieht dabei keine noch so kleine Textschwäche. Umso mehr wissen wir (die Nachtprotokolle und ich) sein großes Lob zu schätzen:
„In der deutschen Phantastikszene als Kurzgeschichtenautor wahrgenommen zu werden, bedarf einer eigenen Stimme. Diese eigene Stimme, ein schwer zu definierender Sprachfluss in Kombination mit stilistisch eigenem Ausdruck und spezieller Wortwahl, sollte sich vom reinen Fan-Fiction-Allerlei abheben. Sie zu finden, ist eine der lohnenswertesten Angelegenheiten, denen sich ein Autor verschreiben kann. Anke Laufer ist eine Autorin, die mit ihrem Buch Nachtprotokolle diese eigene Stimme bereits gefunden hat. Damit kann schon jetzt eine Empfehlung für alle diejenigen Leser ausgesprochen werden, die sich für anspruchsvolle Literatur interessieren.“