stellt euch vor,
ihr Piraten und Besatzer des Yellow Submarine
nicht weit vom heißen Beutestrand, jenseits der Korallengärten,
lasst ihr euer Gefährt zurück am Rand der Unterwasserklippe.
Stellt euch vor
Ihr lasst euch fallen, wo
Lichtsprenkel und Funken rasch verlöschen
irgendwo bei den Marianen, Süd-Sandwich,
Puerto Rico oder Sunda,
wo das Kliff ins Bodenlose stürzt,
über die Bruchkante in den Graben
abwärts
zwischen Land und kalter Tiefe.
stellt euch vor, wie eure Lungen schwinden,
ihr zu Kiemen und Flossenwesen werdet,
stellt sie euch vor,
eure schuppigen Leiber aus uralten Mythen,
euer silbriges Blitzen im schwindenden Licht,
euren Unterwasserflug an Balkonen, Simsen
vorbei
an seitwärtigen Tälern, Nischen, Unterwasserauen,
dann weiter hinab ins Nichts
lasst euch selbst los im Sog
vergesst euch selbst im Mahlstrom,
lasst euch hinabreißen
in die Kellergeschosse und zerklüfteten Unterwelten,
wo Drifte und Strömungen an euch zerren, wo Plankton vorbeirast
wie Schnee am nächtlichen Autofenster –
dann auf einmal wird es still
öffnet die Augen. Dort,
wo eine Tiefseequappe sich dreht und windet im stillen Tanz
wo Kragenhaie auf Raubzug gehen, mächtige Krebstiere mit Scherenhänden winken,
wo Kopffüßler über uns hinwegschießen wie fahle Pfeile
wo Rippenquallen schillern und wie von selbst verlöschen
wo Perlboote aufsteigen und sacht über uns hinwegtorkeln
wo Seelilien die Anker ihrer Wiesen lichten, um anderswo Beute aus der Strömung zu fischen
wo Milliarden winziger Lebenssterne im Reich der Finsternis glimmen
wo ein Riesenkalmar, eben einem Seefahrermärchen entstiegen, im freien Wasser schwebt und uns beäugt –
Dort drüben jedoch
in jenen Spalten zwischen Felsknollen, in jenen steinernen Tunneln und Augenhöhlen verpasst ihr jetzt, genau jetzt,
die Begegnung mit drei unbekannten Arten während
eine Plastiktüte euch ablenkt, die über den Abhang dümpelt
all die Wesen, kaum erblickt oder nie entdeckt,
keinem nutzt der stachelige Trotz, keinem die Fangzähne
preisgegeben sind sie
wo der menschliche Beutegreifer sich tummelt
da wirbelt eine Wolke vor euch auf
keine Tränen trüben die Sicht,
nur Schlick, oder vielleicht
ein flimmernder Schleier aus Krebstierchen
eine kleine Weile
bis der letzte Vorhang sich hebt
und ihr glaubt, am einsamsten Ort der Welt angekommen zu sein
wo ein schwarzer Raucher
wie eine dunkle Märchenfabrik aus der Tiefe wächst
es kochend heiß aus allen Kaminen quillt
der Zyklus sich wendet –
Legionen grauer Garnelen wimmeln und drängeln
Etwas tüpfelt und krabbelt geschäftig um die Schlote
Seegurken kreiseln wie eine Flotte praller Zeppeline,
Scharen von Schleimaalen putzen das Aas vom Boden
während es herabregnet, auf sie alle, unaufhörlich
Kot, Glibber und Knochen
Fasern, Plastik, Pflanzenteile
Gräten und Teer,
all das fängt die Tiefe auf
mit tausendundein nachtsamtenen Mäulern
schluckt Nahrung und Gift
und macht es neu
all das Leben
Wie viele Meilen unter dem Meer ist ein Text, den ich zum Jahresbeginn 2023 für eine multimediale Kunstaktion von XR/ extinction rebellion Stuttgart verfasst habe, in der es um die Bedrohung der Tiefsee durch die bevorstehende Freigabe des Meeresbodens für den Bergbau geht. Viele, auch bisher unbekannte Arten, werden dabei wohl ausgelöscht werden. Beim Abtragen des Meeresbodens mit Hilfe schwerer Maschinen werden womöglich auch dort lagernde natürliche Kohlenstoffspeicher zerstört – mit unabsehbaren Folgen für die sich verschärfende Klimakrise. Für mehr Informationen siehe https://rebellion.global/
https://www.greenpeace.de/biodiversitaet/meere/meeresschutz/tiefsee-gefahr