Viele meiner liebsten Schriftsteller haben eine unverwechselbare Tonlage. Die zieht sich durch all ihre Texte, gibt ihnen den typischen Klang, es ist diese ganz eigene Stimme des Autors, die man immer wieder hören will. Als Autorin bin ich natürlich auf der Suche nach dieser eigenen Stimme, die wohl ein Qualitätsmerkmal ist. Na schön, sie entwickelt sich allmählich, wenn auch unendlich langsam, und natürlich nur durch unermüdliches Vielschreiben. Ohne Fleiß – …na, Ihr wisst schon. Aber der Prozess ist so zäh, dass man durchdrehen könnte. Ich vergaß zu erwähnen: Geduld gehört nicht zu meinen starken Seiten.

Seit jeher ist mir dennoch nichts anderes übrig geblieben, als weiterzumachen und darauf zu warten. Nach und nach habe ich ein paar Vorlieben, ein paar Tricks und vor allem Ticks und Macken in meiner Schreiberei entdeckt, die wohl mit meiner eigenen Stimme zu tun haben könnten. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Wenn es solche Anzeichen gab, dann haben mich meist meine Leser darauf hingewiesen. Mir musste man in dieser Hinsicht immer jemand auf die Sprünge helfen, zuletzt mein geschätzter Verleger Enrico Keydel. Das hat natürlich damit zu tun, dass man beim Schreiben bis über beide Ohren in den eigenen Stories steckt, doch das soll keine Entschuldigung sein. Die Fähigkeit, einen Schritt zurückzutreten und den eigenen Text mit „fremden“ Ohren zu hören, gehört schließlich ebenfalls zum Handwerk.
Abgesehen von meiner Begriffsstutzigkeit habe ich aber noch ein ganz anderes Problem. Es tut sich nämlich ein Widerspruch auf. Ein gähnender Abgrund zwischen dem Streben nach dieser persönlichen, ganz eigenen Stimme und einer anderen Zielsetzung.
Denn auch jeder einzelne Text, so finde ich, verlangt nach seiner eigenen Klangfarbe. Es geht nicht nur um Form oder Struktur (was wir für selbstverständlich halten), sondern eben auch um diese Stimme des Textes, aus dem sich Stimm-ung und Atmosphäre ganz selbstverständlich entfalten. Jedem Text seine eigene Stimme lautet also die Forderung – wenn das auch bedeutet, einem Stimmengewirr ausgesetzt zu sein. Okay, ich versuche das mal näher zu erklären.
Wenn es um Texte mit Ich-Erzählern geht, ist es nicht schwer nachzuvollziehen. Da tritt der Autor zurück und überlässt das Reden seiner Figur. So wie in folgendem Text:
„Hier der tote Hund, da der Knochen auf dem Kaminsims und dort der tote Papierhaufen neben der Schreibmaschine. Dacht heut früh: Nicht weiter grübeln, bloß nicht weiter grübeln, werd jetzt ausgehen, jetzt erst recht, was einkaufen, die Schuhe neu besohlen lassen. An der Tür, das war komisch: Mantel und Hundeleine, der Pfiff schon raus, aber der Hund war ja tot, neben dem Kamin, nicht zu ändern.
Den Hund loswerden, später,
kein Dosenfutter kaufen.
Und Tür zuschließen, nicht vergessen.“
Aber ich meine, dieser Klang, diese Stimme sollte sich auch nach dem Thema des Textes richten. Die zwei folgenden Ausschnitte machen vielleicht klarer, was ich meine:
„Als er den Blick wieder zu der Witwe hin wandte, hatte sich in deren Gesicht ein fernes Lächeln gestohlen. Sie schien ihm zu erschöpft, um zu reden, vielleicht aber auch ein wenig unwillig. Auf sein Drängen hin seufzte sie schließlich, als gäbe sie der Bettelei eines der Kinder nach und zählte ihm ein paar Vereinsmitgliedschaften ihres Mannes auf. Schützenkönig in zwei aufeinander folgenden Jahren sei er gewesen, bis zu seinem Tod aktiv im schwäbischen Albverein und eine zeitlang sehr engagiert im Gemeinderat. Doch aus all dem hatte der junge Pfarrer natürlich nicht ersehen können, was für ein Mensch er gewesen war, dieser Lutz Rist.“
Hier verlangt der Text nach ein wenig feierlichen, mäandernden Sätzen, die sich an der Perspektive des Pfarrers orientieren, im Subtext allerdings sind (hoffentlich) irritierende Unterströmungen zu spüren.
In einer anderen Geschichte klingt die Stimme dagegen unterkühlt, knapp und hart:
“ Wir sind jetzt unter dem Fluss, sagte der fette Mann. Er bedachte sie mit einem seitwärts hingeworfenen Blick und fügte hinzu: Sie hätten sich wärmer anziehen sollen.
Er stieß eine Flügeltür auf. Sie betraten einen Saal. Er war voller Toter.
Manche, die Mageren, lagen zu zweit auf einer Bahre. Viele hatte man einfach auf den Boden legen müssen. Sie konnte ihre Gesichter nicht sehen, denn man hatte sie zugedeckt. Doch die Konturen der Körper zeichneten sich deutlich ab unter den Tüchern.
– Wie ist das passiert?, fragte sie und bereute es augenblicklich.
– Das hat Sie nicht zu interessieren. Fangen Sie an, wir haben nicht viel Zeit.“
Die Frage ist also: Kann man also als Schriftsteller/in die eigene, unverwechselbare Stimme nur entwickeln, wenn man im selben Genre, bei ähnlichen Themen und Figuren bleibt? Das wäre möglich, würde allerdings eine große Einschränkung bedeuten. Eine, die ich nicht akzeptieren könnte. Ich will weiterhin Geschichten aus dem dörflich Umfeld schreiben ebenso wie aus urbanen Räumen überall auf der Welt, Geschichten aus der Sicht von Männern und Frauen, Kindern und Alten, Realistisches und Fantastisches.
Ich fürchte, womöglich wird es nichts mit der eigenen Stimme. Mit manchen Dingen muss man sich einfach abfinden. Ich bin bloß der Lautsprecher für meine Figuren und Geschichten. Das Durcheinandergequatsche geht wohl weiter. Und ich höre zu und schreibe mit.
(Die Ausschnitte stammen aus meinen Short Stories: Kehricht. Erscheint im März 2012 in: Die Irritation. Worthandel Verlag, Dresden//In geschlossener Gesellschaft. Erscheint ca. Mai 2012 im Förderband des Förderkreises Deutscher Schriftsteller 2012//Der Saal unter dem Fluss. Erscheint im März 2012 in: Die Irrtation. Erzählungen. Worthandel Verlag, Dresden)